Konstruktion Der Stufensprungzuschlag – ein verborgener Kostentreiber

Aktualisiert am 06.10.2022 Ein Gastbeitrag von Andreas Loebner

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Während sich Produktlebenszyklen verkürzen, wächst der Druck, innovative und qualitativ hochwertige Produkte zu möglichst geringen Kosten zu konstruieren und zu produzieren. Als Kostenfalle erweist sich häufig die Überdimensionierung von Bauteilen, wie unser Autor zeigt.

Auf Nummer sicher zu gehen und Komponenten lieber überzudimensionieren macht sich  negativ auf der Kostenseite bemerkbar.
Auf Nummer sicher zu gehen und Komponenten lieber überzudimensionieren macht sich negativ auf der Kostenseite bemerkbar.
(Bild: gemeinfrei / Pixabay)

Der Konstrukteur im Maschinen- und Anlagenbau steht immer im Zwiespalt zwischen der sicheren und der marktgerechten Auslegung seiner Konstruktion – wobei marktgerecht bedeutet, dass das Produkt minimale Herstellungs- bzw. Betriebskosten hat. Dabei legt er nur in Ausnahmefällen „stufenlos“ aus. In der Regel muss er marktübliche, oftmals genormte Elemente einplanen. Beispiele für solche Elemente sind Gewinde – ….,M5,M6,M8….– oder auch Rohrdurchmesser – ….DN32,DN40….. In der Literatur ist als Maß für die Größe der Stufung der Buchstabe φ (Phi) eingeführt.

Dabei ist φ = typische Abmessung des nächst größeren Teils dividiert durch die Abmessung des vorhergehenden Teils der Baureihe.

Beispiel: Hydraulikzylinderdurchmesser φ =63/50 = 1.26.

Beschäftigt man sich näher damit, so kommt zu Tage, dass die geometrische Stufung nebensächlich ist. Die wichtigen Fragen sind:

  • Wie groß sind die Zunahmen bezüglich der Leistungsfähigkeit?
  • Wie groß sind die Zunahmen bezüglich der Kosten der Baureihe, aus der ausgewählt wird?

Stufensprungzuschlag an einem Beispiel

Am Anfang soll anhand eines Beispiels ein Auslegevorgang vor Augen geführt werden. Die Festlegung der Wandstärken von Druckbehältern ist in Bild 1 dargestellt. Da man die Bauteilsicherheit nie gefährdet, ist die gewählte Wandstärke der handelsüblichen Bleche stets größer als die, die die Berechnung erfordert. Dieser „Stufensprungzuschlag“ schwankt, ohne dass man ihn beeinflussen kann, zwischen vernachlässigbar klein hin bis zu der Größe des Stufensprungs zwischen zwei handelsüblichen Blechstärken.

Bild 1: Auslegung von Wandstärken von Druckbehältern mit vorgegebenem Druck.
Bild 1: Auslegung von Wandstärken von Druckbehältern mit vorgegebenem Druck.
(Bild: A. Loebner)

Wie sind technische Komponenten eigentlich gestuft?

Bevor nun einem auslegenden Konstrukteur bei einem weiteren Beispiel über die Schulter geschaut wird, wird untersucht, wie marktübliche technische Komponenten denn eigentlich gestuft sind.

Dabei wird im Bild 2 die „Leistungsstufung“, also was das Bauteil kann, über der „Kostenstufung“ aufgetragen.

Die Tabelle zeigt beispielhaft, welche Stufungen sich am Markt etabliert haben.
Die Tabelle zeigt beispielhaft, welche Stufungen sich am Markt etabliert haben.
(Bild: A. Loebner)

Diese Darstellung spiegelt wider, welche Stufungen sich am Markt etabliert haben. Ein paar Punkte springen ins Auge:

  • a+b: Rohre und dazu passende Komponenten für den Apparatebau sind relativ grob gestuft. Da die Strömungsgeschwindigkeit des Fluids im Rohr meist unkritisch ist, hat sich, so die Vermutung, diese grobe Stufung durchgesetzt.
  • c: Man erhält mit zunehmender Trägergröße überproportional mehr Widerstandsmoment. Dieses wächst mit der dritten Potenz, das Gewicht nur mit der Zweiten.
  • d: Kugellager sind relativ fein gestuft, da sie, kostenmäßig untergeordnet, in optimierte Wellen- und Gehäusekonstruktionen eingebaut werden.
  • f: Hydraulikzylinder sind grob gestuft. Die Normierung und die Verfügbarkeit der Rohre und Kolbenstangen als kosten – und lieferzeitbestimmende Halbzeuge könnte ein Grund hierfür sein. Die Kosten streuen, vielleicht wegen Stückzahleffekten, weit.
  • i: Ventilatoren für große Fördermengen sind fein gestuft und die Kosten streuen wenig. Sie werden fast immer in Einzelfertigung hergestellt. Ihre Kosten, besonders die Betriebskosten sind hoch. Sie werden daher genau auf den Anwendungsfall passend ausgelegt.

Es ist davon auszugehen, dass der auslegende Konstrukteur für die Komponenten, mit denen er laufend zu tun hat, diese Zusammenhänge im Regelfall verinnerlicht hat, ohne sich das je in der hier dargestellten Weise vor Augen geführt zu haben.

Was es bei der Auslegung von gestuften Komponenten zu beachten gilt

Im folgenden Beispiel (Bild 3) soll nun nachvollzogen werden, wie Auslegung von gestuften, hintereinandergeschalteten Komponenten abläuft und was man dabei beachten sollte, wobei die Auslegung der Hydraulik grob vereinfacht dargestellt wird.

Bild 3: Auslegung einer hydraulisch betätigten Hubvorrichtung.
Bild 3: Auslegung einer hydraulisch betätigten Hubvorrichtung.
(Bild: A. Loebner)

Bild 3 zeigt die Auslegung einer hydraulisch betätigten Hubvorrichtung. Beim Bestimmen der Komponenten Zylinder, Hydraulikpumpe und Antriebsmotor wird, wie in der Praxis üblich und richtig, jeweils ausreichend dimensioniert. Es wird also das Bauteil gewählt, das die Anforderungen erfüllt bzw. übererfüllt. Das Beispiel zeigt, dass die unvermeidliche Überdimensionierung der vorausgehenden Komponente zwangsläufig eine weitere, an sich zu große Wahl bei der nachfolgenden Komponente nach sich zieht.

Im Team verstecktes Potenzial entdecken

Der in Bild 3 gezeigte Weg wird wohl in den meisten Fällen unbeirrt beschritten werden, wenn Maschinenkonstrukteur A den Zylinder festlegt und Hydraulikfachmann B die Pumpe auslegt. Die offensichtliche, nur dem Zufall geschuldete, Chance für Einsparungen bei Pumpe und Motor bestünde darin, die Hubzeit zu hinterfragen, da die nächst kleinere Pumpe gerade nicht reicht. Woher kommen die geforderten 20 Sekunden? Ist das eine vertraglich festgeschriebene Zeit? Ist die eigentlich benötige Hubzeit länger, aber wurde zur Sicherheit auf 20 Sekunden abgerundet?

Es lohnt sich, diese Fragen zu stellen, wenn die Recherchen in einem sinnvollen Verhältnis zu den zu erwartenden Einsparungen liegen. Gut eingespielte Kollegen bzw. Teams können hier nebenbei Wettbewerbsvorteile für ihr Unternehmen herausholen.

Seminar-Tipp

Im Seminar "Design-to-Cost-Methoden" vermittelt der Referent – basierend auf seiner jahrelangen Erfahrung als Kostenmanager und Unternehmensberater – die wirkungsvolle Anwendung und Kombination der wesentlichen DTC-Methoden.

Zusammenfassung

  • Es lohnt sich für den auslegenden Konstrukteur zu wissen, ob er es mit grob oder fein gestuften Subkomponenten zu tun hat.
  • Die Stufung, auch von nicht genormten Baureihen, erscheint im Markt recht einheitlich zu sein. Durch Wechseln von Lieferanten Vorteile beim Stufensprung herauszuholen wird eher erfolglos sein.
  • Bei der Auslegung von hintereinandergeschalteten Komponenten bewegt man sich Schritt für Schritt zu zunehmender Sicherheit (positiv formuliert) bzw. ehrlicher ausgedrückt zu mehr „Speck“.
  • Bei grob gestuften, teuren Bauteilen, typisch Getriebe, lohnt es sich oft die vorgeschalteten Bauteile möglichst knapp auszulegen. Dazu ein nicht näher ausgeführtes Beispiel Seilwindenhubwerk: Wird der Seiltrommeldurchmesser großzügig festgelegt, ist das dazu passende Getriebe im ungünstigsten Fall dreistufig statt zweistufig, was die Kosten sprunghaft ansteigen lässt.
  • Arbeitsteilung und „stures“ Abarbeiten von Lastenheften verspielt die Chance auf kostensparende Iterationsvorgänge.
  • Einbinden von potentiellen Bauteillieferanten in den Auslege- und Auswahlprozess kann – umsatzgetrieben – den Trend zum Überdimensionieren verstärken. Doch genauso gut kann der Blick von außen zur Entscheidung für eine kleinere Komponente ermutigen.
  • Iterationsvorgänge erfordern Initiative und kosten Zeit. Angesicht des weit verbreiteten Termindrucks in Konstruktionsbüros unterbleiben sie oft.

Dieser Artikel hat das Thema lediglich eröffnet. Hat der auslegende Ingenieur den Begriff des Stufensprungzuschlags entdeckt und verstanden, so wird das sein Vorgehen in seinem Arbeitsfeld in Richtung knappere Dimensionierung unterstützen.

Die beiden Beispiele dieses Artikels gehen von eindeutigen Lastannahmen, nämlich Druck und Gewicht aus. Im Konstruktionsalltag aber sind unsichere Vorgaben sehr häufig. Das Phänomen des Stufensprungzuschlags nimmt dann, auch wegen psychologischer Faktoren, weiter zu.

* Andreas Loebner, freier Autor, Bern

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